Was ist Urvertrauen?

Wo kommt es her, dieses tiefe Vertrauen in mir? Vertrauen zu wem eigentlich? Meinem Partner? Meinem Chef? Meinen Eltern? Meinem Lehrer? Meinem Reiseleiter? Berater? Arzt? 

Das alles sind Vertrauensverhältnisse zu anderen Menschen. Auch hier gilt: wie im Außen so im Innen. Macht das die Sache noch komplizierter, als sie ohnehin ist? Oder einfacher? Glaubst du überhaupt daran, dass es da einen Zusammenhang gibt? Das ist keine wenn-dann Verkettung, es ist eher eine Art Synchronizität. Kein waagerechter Zusammenhang, sondern ein senkrechter: Waagerecht verläuft unser Leben in der linearen Welt: Ein Ereignis folgt dem nächsten. Einer Ursache folgt früher oder später eine Wirkung. Senkrechter Zusammenhang bedeutet: Was sich auf der einen Ebene zeigt, existiert auch parallel, also synchron auf einer oder mehreren weiteren: eben Innen und Außen. In diesem Fall: Wenn du häufiger die Herausforderung hast, Jemandem zu vertrauen, dann vertraust du dir auch (noch) nicht so richtig selbst (im innen): Im Außen fällt das natürlich leichter auf, denn: Wer will diese Nabelschau schon wirklich gerne? Wer will über sich ein Defizit entdecken, das er Nicht mal ändern kann? Das würde es ja noch schlimmer machen. Doch mit etwas Übung ist es genau andersrum: Es ist viel leichter und weniger kompliziert, ein Muster in mir zu reparieren, als über das Agieren, Erleben, Reflektieren und Verändern in der Begegnung mit anderen Menschen, eben im Außen.

Wann entsteht dieses Urvertrauen?

Bist du bereit für die nächste spannende Frage? Hatten wir dieses Urvertrauen einst, als Kind oder Kleinkind, und haben es im späteren Verlauf verloren? Oder ist Urvertrauen grundsätzlich eine Qualität, die wir uns mühsam im Leben erarbeiten dürfen?

Ich glaube fest daran: Wenn es nicht von Anfang an ziemlich doof läuft, kommen wir mit einem Urvertrauen auf die Welt. Bitte beachte an dieser Stelle, dass wir ein Vorleben im Bauch der Mama haben: Wie das so abläuft, hat die erste prägende Wirkung. Spätestens bei der Geburt wird uns dann (unbewusst) klar, was wir uns auf der Seelenebene angetan haben: Noch einmal inkarnieren, oh Gott! Wieder in so einen kleinen, unbeweglichen Körper. Ohh Mann oder Frau! Doch egal, nach der Geburt haben wir recht schnell ein Gefühl zu Mama und vielleicht auch zu Papa. Und dieses Gefühl ist meist ein Gutes, das uns auch einschlafen lässt. So entstehen die ersten Bänder von Vertrauen. Zu den Wesen um uns herum, doch auch zum Leben an sich. Das Urvertrauen beginnt sich auszuweiten und aufzubauen…

Ich glaube, dass Urvertrauen bei der Geburt da ist. Das wird allerdings im Laufe des Heranwachsens bei nicht wenigen Menschen früher oder später erschüttert. In dem Maße, wie das Vertrauen zu anderen Menschen schwindet, so degeneriert auch unser Selbstvertrauen und damit das Urvertrauen. Wir entwickeln uns im Grunde genommen rückwärts. Was nun?

Manchmal treten wir recht lange auf der Stelle, jedoch niemals ewig. So kommt es irgendwann zu einer Selbstreflexion, vermehrten Hinweisen von außen, oder… oder das Leben übernimmt den Job, uns weiterzuführen. Die Entwicklung folgt in so einem Fall dann einem uns nicht bewussten Seelenplan und bringt uns in eine Situation, in der wir wachsen dürfen. Diese ist naturgemäß überraschend und ungeplant. Manchmal erschreckend oder sogar schmerzhaft, und so zwingen sie uns regelrecht in ein Wachstum. Da müssen wir dann durch. Hinterher, in der Rückschau sagen wir: Na ja, war recht heftig, doch hat es sich gelohnt. Beim nächsten Mal hätte ich es allerdings gerne etwas leichter… wenn es geht.

Eine Reise ans Ende der Möglichkeiten.

Mir präsentierte das Leben öfter solche Lektionen, eine mag ich hier schildern. Jene, in der ich mein verlorenes Urvertrauen wiederfand. Vor 25 Jahren lernte ich auf einem Seminar in Deutschland eine Freundin kennen, die Jahre vorher ausgewandert war auf die Kanarischen Inseln. Sie lebte mit ihrem Lebensgefährten in den Bergen von Gran Canaria in einem kleinen Dorf und führte dort ein Restaurant. 

Ich besuchte sie in der Folge mehrfach und befreundete mich mit ihrem Gefährten. Wir verstanden uns blendend, doch waren wir gezwungen, eine Art Seelensprache zu entwickeln, denn: Keiner sprach die Sprache des jeweils anderen. Wir wanderten viel und erzählten uns manchmal Witze. Wir verstanden sie nicht, doch wir lachten gerne gemeinsam über die Pointe. Er war in den Bergen aufgewachsen und hatte die ersten Lebensjahre dort als Ziegenhirte verbracht und kannte sich fantastisch aus. Damals habe ich mich noch nicht mit Schamanismus beschäftigt, heute bin ich sicher, dass er aus einer traditionellen Linie stammt. Das, was ich mit ihm oder besser gesagt, durch ihn erleben durfte, spricht dafür. 

Seit meinen ersten Wanderungen keimte in mir der Wunsch: eine Nacht oben in den Bergen alleine verbringen. Es war nicht nur der Romatiker in mir, der das wollte. Eine nicht bestimmbare Kraft zog mich. Ich war wenig outdoor erfahren: Zelten auf einem ausgestatteten Camping-Platz kannte ich, doch da oben in der Wildnis, mitten in der Nacht?   

Eines Tages outete ich mich bei meinem Wanderführer. Er ließ sich meinen Wunsch übersetzen und nickte. Seine Augen studierten mich. Okay, er würde mich da hochbringen. 

Sofort meldete sich mein innerer Rebell. Ich bin kein Baby, ich muss da nicht »hochgebracht« werden. Doch eine innere Stimme unterbrach das Geplapper: »Er ist derjenige, der alles kennt, sei folgsam.«

Am späten Nachmittag brachen wir auf. Bestes Frühsommerwetter, blauer Himmel, laue Nächte, ideal. Ich hatte mir das nötigste in einen Rucksack gepackt und Juan eröffnete mir, dass er mich bis zum Hochplateau führen wollte, um mir dort eine Höhle zu zeigen, die die Hirten und Jäger gelegentlich nutzen. Wieder startete der innere Rebell, doch ich gebot ihm zu schweigen. Kurz vor dem Ziel zeigte Juan mir zu allem Überfluss noch eine Quelle. Ich will eine Nacht bleiben, nicht wochenlang. Brav merkte ich mir ihre genaue Position. Auf Juans Geheiß drehte ich mich häufig um, so dass der Rückweg abgespeichert war. Ich kam mir wieder wie ein Baby vor und ahnte nicht, was Juan zu wissen schien.

Der Serpentinenweg führte eine Steilwand hinauf, endete jäh auf einem Hochplateau. Hier gab Juan sich besonders Mühe, dass ich rückwärts den Einstieg nach unten erkennen konnte. 

Wir gingen dann weglos rund fünfhundert Meter über flaches Gelände bis zu einer kleinen Erhöhung, in der die beschriebene Höhle lag. Dass das Ding sogar noch eine Holztür hatte, zerstörte den Rest meiner romantischen Planung und ich beschloss insgeheim, sie zu ignorieren und davor zu campieren.

Bevor Juan abstieg, entfachte er vor der Höhle ein Feuer, wechselte ein paar Worte und Gesten mit mir, ein langer Blick in die Augen, dann war ich mit Feuer und Höhle allein. Erst jetzt spürte ich mein Herz klopfen und mir wurde bewusst, wie neu und aufregend die Situation war. Der Romantiker in mir wurde bedient mit einem phantastischen Blick über die Insel, das Meer bis zur Nachbarinsel Teneriffa. Hinter mir ging der Mond auf, vor mir versank synchron die Sonne im Meer. Was mir nicht einfiel: Es gibt diese Konstellation nur an einem Tag. Bei Vollmond.

Ich wusste damals auch nicht, dass bei Vollmond häufig das Wetter wechselt. Ebenso nicht, dass klare Nächte in den Bergen kühl sein können. So krabbelte ich nachts reumütig in die Höhle. Was soll´s? Wenn sie schon mal da ist? Drinnen kam die Frage auf, was eigentlich die Jäger so jagen und ich schloss die Türe. Wenn sie schon mal da ist.

Ich schlief schnell ein und fiel in wilde Träume mit Blitzen und Donner. Hörte Trommeln und war im Urwald mit tosenden Wasserfällen in den wildesten südamerikanischen oder afrikanischen Landschaften. 

Bis ich aufschreckte, und feststellte, dass der Traum die Realität war. Um mich herum tobte ein gewaltiges Unwetter, das Wasser fand seinen Weg durch Ritzen in den Felsen, sodass ich innerhalb der Höhle zweimal umziehen musste. Dann kamen die Dämonen der Nacht. Angst und Panik rollten in Wellen durch meinen Körper, mein Verstand raste. Der Panik Level stieg und stieg und stieg. Als das erste Licht durch die Ritzen der Tür schien, war ich in Vollpanik und bereit zur Flucht. Ich wusste, dass es so gut wie unmöglich war, bei Nässe den Feldweg herunter zu gehen aber für mich war klar: Ich werde flüchten. Dann öffnete ich die Tür und stand im Nebel mit Sichtweite zwei oder drei Meter. 

Der Verstand sagte sofort: Hier bleiben, keine Chance im Nebel den Einstieg zu finden. Doch mein Reptilienhirn hatte inzwischen die Regie übernommen und kannte jetzt nur doch: Angriff oder Flucht. Hier war niemand, den ich hätte angreifen können, also war Flucht angesagt und Flucht heißt dann wirklich rausgehen und rennen. Mein Puls schlug, der Schweiß stand auf Stirn und Rücken. Mein Rest-Verstand wollte es verhindern, doch die Panik gewann. Ich ging vor die Tür und wollte einfach nur mal so ein paar Meter gehen und um rauszubekommen, ob ich Markierungen oder sogar den Weg finde. Kaum war ich unterwegs, setze zu dem immer noch starken Wind auch extremer Regen ein und bei einer Sichtweit von wenigen Meter passierte genau das, wovor meine innere Stimme mich warnte: Ich verlief mich und fand weder den Einstieg noch den Weg zurück zu Höhle. Durch den Regen und den Wind sank die Temperatur, ich hatte keine Regenkleidung, es fühlte sich an wie Minusgrade. Hätte ich den Rand des Plateaus gefunden, ich wäre in der Lage gewesen, auch weglos in die Wand einzusteigen, was meinen Tod bedeutet hätte. Doch inzwischen waren Sturm und Regen so heftig, dass ein fortbewegen unmöglich war. In meiner Not kauerte ich mich auf den Boden und baute mir aus Steinen eine kleine Minimauer als Schutz. Ich zitterte am ganzen Körper, vor Kälte und vor Angst. 

Die Heilung.

Dann ging es ganz schnell. Von einem Moment auf den anderen wurde ich innerlich ruhig und da war nur der eine, in den Himmel gerichtete Wunsch. „Lieber Gott, wenn es sowas wie dich gibt, dann hol mich hier raus. Bitte:“

Der Wind ließ augenblicklich nach, der Regen wurde spürbar weniger und über mir riss, wie auf einer kitschigen Postkarte der Himmel auf. Sonnenstrahlen drangen durch den Nebel und ich konnte das erste Mal, seit ich die Höhle verlassen hatte, etwas erkennen. Und ich sah, dass zwanzig Meter vor mir das kleine Steinmännchen stand, um mir den Weg zu zeigen zur Einstiegsstelle in die Steilwand. 

Ich saß da. Wellen der Euphorie und des Glücks durchspülten meinen Körper, wo vorher noch zitterndes und flehendes Beben war. Zuversicht und Sicherheit waren eingezogen in das Haus, in dem eben noch die Panik regierte. Plötzlich war es keine Frage mehr, dass ich sicher und gesund nach unten käme. Zu meinen Freunden und zu meiner eigenen Zukunft. Obwohl aufgrund des Regens ein schwieriger und damit gefährlicher Weg vor mir lag. Das war kein Gedanke, der durch meinen Kopf ging. Da war überhaupt kein Gedanke. In mir war eine tiefe Ruhe und …ja, Sicherheit.

Ich glaube, dass ich an jenem Morgen mein Urvertrauen wiedergefunden habe. Danach bin ich durchaus in weitere brenzlige Situationen gekommen, doch ich hatte nun eine Referenzerfahrung, auf die ich mich beziehen konnte. Außerdem lernte ich später Möglichkeiten kennen, wie ich den Angst-Flucht Schalter wieder deaktivieren kann, wenn der Alarm mal losgeht. 

Mein Fazit aus meiner ganz persönlichen Geschichte? Begnadet sind die Menschen, die sich ihr Urvertrauen seit der Kindheit halten konnten: Doch wer es verloren hat, kann darauf vertrauen, dass das Leben uns immer eine zweite Chance gibt. Uns in eine Möglichkeit führt, die Wachstum gestattet. Wenn wir uns in die Möglichkeit fallen lassen ohne viel nachzudenken, für was das, was wir gerade tun, wohl gut ist. 

Sich fragen: Warum bin ich gerade in dieser Situation?, ist die Frage eines gelehrigen Schülers. Einfach mal machen, um hinterher die Antwort zu finden ist der Weg des fortgeschrittenen Schülers.

In dem Sinne: Auf in das nächste Abenteuer. Am Ende wartet Wachstum.

 

Viel Erfolg dabei wünscht dir 

Dein Andreas

 

 

 

Der zugehörige podcast erschen am 22.7.2019: Gottes Auge