Bessere Fragen stellen

Nichts liegt näher, als die zu fragen, die vor uns gehen. Es ist doch das, was ich immer wieder den Menschen sage, die ich als Coach begleiten darf: „Schau auf die, die bereits da sind, wo du hinwillst.“ Das hört sich erstmal leicht an, doch dann kommt die Umsetzung. Für manchen ist es nicht leicht, Fragen zu stellen. Ich gehöre oder ehrlicher gesagt, ich gehörte zu jener speziellen Gruppe von Menschen, die eher introvertiert ihren Weg gehen. Da kommt mir der Spruch in den Sinn: Männer finden den Weg, sie fragen nicht danach. Ja, so war ich, sogar in diesem ganz konkreten Fall. Es hat mich weit gebracht als Forscher und Entdecker. Meine Kreativität wurde gefordert und gefördert. Ich konnte meine Talente leben und ausleben. Doch übersah ich jahrelang, dass ich meine Schwäche nicht wahrnahm: Die Kommunikation mit anderen Menschen.  Und diese Fähigkeit ist nunmal die Basis dafür, wenn ich wirklich lernen will: Durch das Stellen von besseren Fragen. Ich kann von meinen Coachees nichts verlangen, das ich nicht selbst leiste. Gut, so ganz neu war das Thema nicht. Als Eigenbrötler, der im Außen, besonders geschäftlich, Erfolg hat, war ich gewohnt mich selbst zu hinterfragen. Und die Kommunikation darüber führe ich auch seit vielen Jahren mit meinem Coach.

Durch den Spiegel schauen.

Neu war dann, mehr Fragen an die zu stellen, die da sind, wo ich hin will. Und bessere Fragen, spezifisch, auf kleine Aspekte hinzielend. Nicht mehr auf der Suche nach dem Tausendsassa, der bewundernswert ist, weil er alles auf die Kette kriegt. Mein Ziel war plötzlich: Auf die schauen, die mich früher nicht angesprochen haben. Weil es einen Teilaspekt gab, der mich nicht inspirierte oder mich vielleicht in seiner Spiegelfunktion abschreckte. Nochmal hinschauen, durch den Spiegel blicken und den Teil des Anderen sehen, der für mich interessant sein könnte, mich dann sogar anspricht oder bestenfalls fasziniert. Wenn ich so einen Faden mal gefunden habe, dann laufe ich auch recht schnell warm und bin am Ende von einer Person begeistert, die mich zunächst überhaupt nicht ansprach. Das habe ich gelernt, umgesetzt und fahre damit sehr gut. Gerade von jungen Menschen habe ich in den letzten 2 Jahren viel gelernt. Sie sind mir besonders im Umgang mit den neuen Möglichkeiten dieser Welt weit voraus. Und damit meine ich nicht nur die sozialen Medien, die Technik. Nein, auch im Umgang miteinander, der Herzlichkeit in der Kommunikation und vielem anderen gehen sie den Weg vor mir. Warum also nicht Fragen stellen und lernen?

Eine Reise mit und zu meiner Mutter.

Das war sozusagen mein warmingup zu der Frage, die meine Tochter mir im letzten Jahr stellte: „Hey Papa, was machen wir denn mit Oma zu Weihnachten?“ Eine Frage, die mich traditionell etwas zucken lässt. Diesmal jedoch gab es eine Entwicklung, die darin gipfelte, dass ich mit meiner Mutter eine Reise unternahm und ihr die Frage stellte. Die wichtigste Frage überhaupt, die wir Jemandem stellen können, der im 96ten Lebensjahr ist: „Wie hast du das gemacht? Was ist dein Tipp?“ Die Antworten erhielten wir im kleinen Familienkreis, der sich in Basel getroffen hatte. Ich war so gegenwärtig, dass ich das Gespräch aufzeichnete und so für einen Podcast nutzen konnte. Den Link findest du unter diesem Text.

Fragen an die eigenen Eltern stellen?

Doch dieser für meine Verhältnisse mutige Schritt wirkte weiter in mir. Ich darf seit vielen Jahren Menschen begleiten. Das Setting hat gewechselt von Lebensberatung, Psychotherapie zum Coach. Geblieben ist: Menschen wenden sich an mich, weil es in der Entwicklung stockt. Sie kommen nicht weiter, bewegen sich in Schleifen, sind krank, deprimiert, freudlos, lustlos, erfolglos. Wir machen uns also auf die Suche nach der vermeintlichen Blockade und richten gleichzeitig den Blick nach vorne aus: Auf die Ziele, das Warum, die neue Zukunft. Das ist Prozessarbeit und die braucht ihre Zeit. In die Tiefe musst du dich mit dem Spaten arbeiten, wenn du sauber arbeiten willst. Hat mein Opa mir erklärt. Manchmal setzten wir dennoch eine Sprengladung. Je nach dem, ich lasse mich da gerne führen. Das faszinierende an dieser Arbeit ist: Früher oder später, meist recht früh, landen wir in der eigenen Kindheit und damit bei den Eltern. Meist bei genau einem Elternteil. Und mit dem klemmt es nicht nur. In vielen Fällen ist die Kluft groß: Kaum bis kein Kontakt oder sogar im Unfrieden auseinander gegangen. Die krassesten Fälle waren bisher jene, in denen ein Elternteil physisch verstorben und mental noch anwesend war. Fest eingewoben im Energiefeld des erwachsenen Kindes. Eine Verbindung, die grundsätzlich sehr förderlich sein kann. Denn es ist heute bekannt und gebräuchlich, sich Unterstützung aus der geistigen Welt zu holen. Das Geschäft der medial veranlagten Menschen, oder besser gesagt der Menschen, die ihre Medialität zulassen und vermarkten, boomt. Medial ist jeder von uns und somit hat auch jeder die Möglichkeit, den eigenen Hinterbliebenen Fragen zu stellen: „Hey, du auf Wolke Sieben. Was meinst du, was soll ich tun?“ Liegt doch näher, den verstorbenen besten Freund zu fragen, anstatt eine Kartenlegerin zu bitten, mit Erzengel ABC zu kommunizieren.

Hindernisse wegräumen.

Doch stehen uns da zwei Pfosten im Weg. Der erste ist, dass wir in unserer Zeit wenig Anleitung erhalten, wie wir erlöst mit dem Tod umgehen können. So stecken wir möglicher Weise noch in einer kleinen, verdrängten Resttrauer zu dem Verstorbenen und da wenden wir uns dann lieber an den Erzengel. Und der zweite Pfosten betrifft die ganz nahen Angehörigen, speziell die Eltern: Wenn wir schon zu Lebzeiten keine Fragen stellen, wie soll das dann später klappen? Damit verpassen wir möglicher Weise zwei riesen Chancen: Fast alle Menschen, die ich bisher zu diesem Thema begleiten durfte, hatten den Wunsch mit ihren Eltern in eine Harmonie zu kommen. Zumindest in einen friedlichen Status Quo. Und wenn das dann tatsächlich gelingt, öffnet sich das Tor zur zweiten Gelegenheit: Fragen stellen. Bessere Fragen stellen. Was kann ich von dir lernen, dessen Gene ich ja ich in meinem System trage?

Eine Entscheidung treffen.

Dorthin zu kommen, beginnt mit einer bewussten Entscheidung. Dem festen Willen, mich um mich zu kümmern. Das Beste für mich aus diesem Leben zu holen. So viel wie möglich zu lernen. Von denen, die vor mir gehen. Fragen stellen. Antworten erhalten. Diese annehmen, sortieren und verwerten, was mir dient.

Das mit den eigenen Eltern anzugehen ist eine Gratwanderung, das ist mir klar und erlebe ich selbst. Auf der einen Seite liegt der Abgrund: Loslösen von den Eltern und den eigenen Weg gehen. Nochmal zurück in die Pubertät und das (alleine) nachholen, was die Eltern damals nicht sauber geschafft haben. Auf der anderen Seite der Abgrund der tiefen Verbindung. Zu den zwei Menschen, die den Job übernommen haben mich in diese Welt zu bringen. Unter genau den Umständen, wie sie waren. Mit genau den Ergebnissen, die meine Vergangenheit ausmachen.

Diesen schmalen Grat zu gehen, lohnt sich. Es winkt Tiefe, Liebe und Weisheit. Und das beste zum Schluss: Dieser Satz steht auf einem kleinen Schild an meiner Wand: „Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit.“ Wieder etwas, das nur eine Entscheidung braucht: Unsere. Für uns. Um dann nach außen zu gehen. Mit noch mehr Wissen, Frieden in uns, Liebe und Verbundenheit. Die eigene Kindheit zu heilen ist immer eine Reise in die eigene Vergangenheit. Eine Reise die ich alleine antrete, ohne meine Eltern, jedoch mit einem erfahrenen Reiseleiter. Dem Coach meiner Wahl. Wenn ich zurückkehre, hat sich meine Vergangenheit geändert und damit auch die Gegenwart. Alles ist mit allem verbunden. So bin ich eben auch mit meinen Eltern verbunden. Wie ich die Verbindung wahr-nehme, ist meine Sache, mein Blickwinkel. Wenn sich dieser verändert, muss sich dann nicht auch zwangsläufig etwas bei oder in ihnen ändern? Vielleicht stehen sie jetzt sogar am Bahnsteig und freuen sich wenn ich sie frage: „Sag mal, wie machst du das eigentlich…“

Die angesprochene Podcast-Folge „Rollatorfreie Zone“ findest du hier: