So, ich habe mich wieder abgeregt. 

Gestern sah ich in einer geschlossenen fb-Gruppe das Ergebnis einer Teilnehmerumfrage. Viele Teilnehmer wollten mehr darüber erfahren, wie sie ihr Mindset verändern, verbessern können. Auf dem letzten Platz von 10 Themenvorschlägen landete die Frage nach einem besseren Umgang mit der Angst. Mann, war ich getriggert. Wie kann das denn sein? Bin ich so aus der Welt? Für mich ist es DAS Thema. In fast jedem fetten Thema wird früher oder später die Angst deutlich, sie schimmert trügerisch im Hintergrund. Die meisten der Coachees, die sich von mir begleiten lassen, kommen entweder bereits mit einer Angst oder wir haben sie ganz schnell freigelegt.

Angstfrei leben ist unnatürlich.

Doch, wie gesagt: Ich habe mich beruhigt. Und in der Ruhe kommt die Weitsicht. Und die Gnade. Das Mitgefühl und die Einsicht. Was besagt die Umfrage genau? Dass wohl die meisten Teilnehmer glauben, mit der Angst umgehen zu können. Ich merke jetzt, wo der Motor des Turbocoaches wieder im Leerlauf ist: Ja klar, das glaube ich ihnen sogar. Und das ist das Problem. Wenn wir verlernt haben, mit der Angst zu leben, bugsieren wir uns zwangsläufig in ein angstfreies Leben. Wir richten uns so ein in unserer Kuschelburg, dass die Angst draußen bleibt. Wenn jetzt ein schlauer Coach oder Trainer kommt und fragt: „Na, magst du lernen, wie du besser mit der Angst umgehen kannst?“, sehen wir keinen Bedarf. Es geht uns ja prima. Wir wollen lieber lernen, wie wir unsere Glaubenssätze umbauen können, Affirmationen trainieren, meditieren und on top die Königsdisziplin: Manifestieren lernen. Wow. Das wird ein Leben!

Doch was, wenn in diesem neuen Leben, woher auch immer, die Angst durch die Hintertür herein kommt? Oder sogar von vorne, unvermittelt, aus heiterem Himmel. Bäm! Sie knallt dir in die Knochen, kriecht die Wirbelsäule herauf, der Schweiß bricht aus, dein Solarplexus ist dicht wie Beton und du schaffst es gerade noch zum Klo. Was jetzt? Wie kommst du aus dieser Lähmung wieder raus, wenn du dich über lange Zeit konditioniert hast im Angst vermeiden? Wenn du verpasst hast, dich zu trainieren mit der Angst zu gehen? Sie einfach an den Armen zu nehmen und mit ihr tanzen. Atmen, bewegen, dir selbst Mut zusprechen und innerlich wissen: Ich gehe durch diese Situation durch. Wie immer. Und dabei werde ich wachsen. Wachsen schmerzt manchmal, doch es tut nicht weh.

Werdet wie die Kinder.

In meiner Bibliothek, die sich über 30 Jahre gefüllt hatte, standen unzählige Bücher über dieses Thema. Angst und Panik haben mich lange Jahre begleitet und gequält. Statt der Bücher hätte ich mir rückblickend Jemanden gewünscht, der mich an die Hand genommen hätte. Mir erklärt hätte, dass die Angst nicht schlimm ist, dass sie mich fördert und not-wendig ist, sodass es bei mir klick gemacht hätte. Obwohl, anderseits: Ich lebe ja noch. Stimmt, ich habe durch meine teilweise qualvollen Umwege viele Techniken kennengelernt und darf sie heute vermitteln: Wie ich mit Angst umgehe, wie ich sie nutze für meine Ziele, wie ich aus Panik Attacken herauskomme. Doch es muss ja nicht jeder so einen langen Weg gehen, oder?

Ich habe sehr bewusst geschrieben, dass wir oft verlernen, mit der Angst umzugehen, bedeutet: Wir konnten es einst. Kleine Kinder zeichnen sich u.a. dadurch aus, dass sie sich relativ angstfrei durch das Leben bewegen. Manchmal sehr zum Schrecken der Eltern. Angeblich kennen sie keine Gefahren, haben also vor den vermeintlichen Folgen der von den Eltern antizipierten Gefahr keine Angst. Sie probieren aus, sie wollen die Welt entdecken. Warst du auch so? Ich war darin ein Weltmeister. Ich habe mir mal mit meinem Holzbaukasten eine Seilbahn gebaut. Sie fuhr aus dem Fenster im 1. Stock hinunter in den Garten. Alle waren glücklich über den ach so kreativen kleinen Andreas. Bis der sich dann an das Seil hängen wollte, um mitzufahren. Da schritt Mama dann ein. Doch was passiert genau in diesem Moment? Noch hatte ich keine Angst. Vielleicht wäre die gekommen, wenn ich auf dem Sims gesessen hätte, die Beine schon nach unten baumelnd? Wissen wir nicht und können wir als Eltern auch nicht zulassen, klar. Doch was ich damals verpasst habe, war die Chance, mit der Angst zu spielen. Und genau das brauchen wir, um uns zu trainieren. Wir brauchen als Kinder den Seiltanz, das Klettern auf Bäumen, die Mutproben. Gelegenheiten, das physisch zu tun, was die Angst herbeiruft. Wenn wir von diesen Chancen zu wenig hatten in unserer Kindheit, wenn wir in unserem Erwachsenenleben immer nur angepasst unterwegs waren, dann wird es Zeit:

Lade die Angst in dein Leben.

Die Frage müsste eigentlich lauten: Willst du lernen, die Angst (wieder) kommen zu lassen? Dann, und nur dann können wir doch den Umgang mit ihr trainieren. Je höher unser Trainingsstand, umso weniger kann sie uns umhauen, wenn sie plötzlich da steht. Menschen, zu deren Job sie gehört, wie Polizisten, Feuerwehrleute, Piloten unterwerfen sich regelmäßig diesen Trainings. Sie üben nicht nur die Handgriffe, die Schrittfolgen im Umgang mit einer Notsituation. Sie begeben sich auch in künstliche Situation, die auf ihren Organismus wie echt wirken: Puls geht hoch, Verstand blockiert, Schweiss, die ganze Programm der chemischen Reaktion. Ausgelöst im Gehirn durch eine einzige, kurze Wahrnehmung. Es geht nicht darum, so zu leben, dass dieser Cocktail nicht mehr ausgelöst wird. Ziel ist es, zu einer inneren Einstellung zu kommen: „Wow, da geht grad was ab. Mal sehen wie dir das steuern.“ Das zu wollen, sich darauf zu trainieren oder besser trainieren zu lassen, ist eine kurze, knackige Entscheidung:
Für das Leben, für Wachstum. Wieder unbedarft, ohne zuviel Denken und voller Mut den nächsten Schritt zu gehen. Wie damals, in der Kindheit? Nicht ganz. Wir sind inzwischen weiter in unserem Leben. Heute stecken wir uns vorher ein Ziel und bauen die Leitplanken dahin auf. Wenn diese Vorarbeit getan ist, dann können wir uns auf den Weg fallen lassen. Mutig und blauäugig wie einst. Und die Eltern? Die sind noch da. Die heißen heute Coach. Sie können uns helfen, wenn wir uns verrannt haben, nicht mehr durchblicken, die Welt nicht verstehen…wie damals. 

Also, worauf warten wir noch? Einfach weitergehen. Mit ganz großen Schritten. Was kannst du als nächstes unternehmen, um die Angst hervorzulocken? Zu zweit zittert es sich leichter: Wen könntest du einladen, dabei zu sein? Was könntest du wieder in dein Leben lassen, auf welches Abenteuer einlassen?

Schauspieler haben Lampenfieber.

Manche gehen soweit und behaupten: Wenn das eines Tages wegbleibt, können sie abtreten. Diese natürliche Spannung sorge dafür, dass sie ihren Job sehr gut machen können. Es fährt das System hoch, schärft die Sinne, lässt sie auf ganz hohem Niveau achtsam sein und schnell reagieren. Alle Kanäle sind geflutet. Doch sie haben das trainieren müssen, denn es ist eine Gratwanderung. Auf der einen Seite die Routine und Langeweile, auf der anderen Seite die Angst. Rutschen sie in die Routine, will sie Niemand mehr sehen und hören. Sie sind raus. Auf der anderen Seite leckt sich die Angst ihre Finger. Geraten sie da hinein, kommen die Symptome des negativen Stress. Besonders gefürchtet ist der Black out: Der Zugang zum gelernten Text ist dann schlagartig weg. Dann wären sie auch raus. Also trainieren sie die Wanderung. Dadurch steigern sie letztlich ihre Leistung und ihre Qualität. Und Spaß scheint es auch zu machen, denn sie verlieren die Angst vor der Angst.

 

In einigen meiner podcast Folgen geht es um das Thema Angst, z.B. in: „Auf die Bühne.2